VOM RAUSCH II_audiovisual

VOM RAUSCH IM SCHWARM II.av (Pia Palme 2016)

 

media composition for ensemble
(fl. (bs.fl. + picc.), bs.cl., bar.sax., vl., vlc., d.b.),
video,
and electronic playback
(in a specific setup with 6 speakers),
with a text by Pia Palme

duration: 16 minutes

composed for, and premiered by, SCHALLFELD ensemble,
performances at
KUG University Graz 2016,
tnmg Tage Neuer Musik Graz 2016,
Novalis Festival Zadar 2017,
Zagreb 2017,
Klangspuren Festival 2017

All materials for performance are available at request from the composer at piapalme[at]aon.at

 

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Über das Stück/About the piece

 

VOM RAUSCH IM SCHWARM II.av  ist eine Medienkomposition
für Ensemble (bassfl & picc, basskl, baritonsax, vl, vcl, kb),
mit einem audiovisuellen Part (6-Kanal Zuspiel und Video via Ableton Live)
und mit einem Text

 

Konzept und Idee

In diesem Werk setze ich mich als Medienkomposition auf mehreren Ebenen mit der digitalen Dimension auseinander. Ich rücke den ‘Schwarm’ ins Zentrum einer Untersuchung und erforsche Schwarm-Formationen aus sozialer, digitaler und biologischer Perspektive. Ich arbeite kompositorisch mit Schwarm-Formationen und Mustern. Mein Stück stellt einem Schwarm in Form des Instrumentalensembles einen digitalen Schwarm in Form der audiovisuellen Umgebung gegenüber. Weiters gibt es einen Sprach-Schwarm: ein Text, den die Ensemblemitglieder rezitieren, verhandelt emotionale und biologische Aspekte zum Thema. Letztlich bildet das Publikum eine Art Schwarm, der durch das kollektive Hörerlebnis bei der Aufführung entsteht.

Für die vorliegende Arbeit fand ich es interessant, dass sich Mitglieder eines Schwarms (digital, sozial oder biologisch gesehen) aufeinander abgestimmt verhalten. Ein Schwarm kann in einen kollektiven Rausch, in eine kollektive Bewegung verfallen – scheinbar führungslos. Meine Partitur komponiert Schwarm-Strukturen für ein Ensemble ohne DirigentIn. Die MusikerInnen agieren mit Stoppuhr und haben gewisse Freiheiten: sie können für eine festgesetzte Abfolge von Klängen jeweils ihr individuelles Timing wählen. Am Ende des Stückes sind die Instrumentalisten aufgefordert, zu sprechen und sich dabei punktuell zu synchronisieren.

 

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Zielsetzung

Als Medienkomponistin erforsche ich das Zusammenwirken unterschiedlicher Wahrnehmungsprozesse. Ich möchte den Raum ins Spiel bringen, jenen Raum, der sich zwischen den Medien Musik, Text, Video und Bühnenperformance öffnet. Einzig die Hörwahrnehmung kann den Außenraum mit dem persönlichen Innenraum verbinden. Somit stehen Ohren/Sound/Musik im Mittelpunkt meiner Arbeit. Die Medienkomposition erzeugt eine Umgebung, in der sich das Ensemble mit dem Publikum gemeinsam findet. Screen und Lautsprecherinstallation sind so konzipiert, dass sie die Zuhörenden und die Performer synchronisieren. Der digitale Part des Werkes wirkt wie eine kompositorische Klammer: die MusikerInnen und das Publikum werden durch sie in einem gemeinsamen Zeit-Raum verortet und können interagieren. Interaktion findet für mich über die zeitgleiche Wahrnehmung in einer Gemeinschaft statt. Die audiovisuelle Komposition schafft die dafür notwendige, immersive Umgebung.

 

 

 

Entstehungsgeschichte

Die Ensemblekomposition entstand zuerst. Im Text des Stückes reflektiere ich über Vergänglichkeit und Verwesung und den dabei stattfindenden kreativen Veränderungsprozess. Diese Themen sind für mich als Medien-Komponistin zentral im Diskurs über das Digitale: Kompost und Komposition haben dieselbe sprachliche Wurzel. Für den Medienpart wurde auf Wegen, die ich im Alltag in Wien zurücklege, gefilmt und aufgenommen. Durch mein ‘audiovisuelles Field-Recording’ entstand ein Road-Movie. In der Stadt reise ich mit dem Schwarm und bewege ich mich entlang vorgezeichneter Linien (Schienen, Straßen, Fußwege etc.), entweder allein oder mit anderen. Ich konnte aufnehmen, ohne den kollektiven Fluss zu stören. Verwendet wurden eine Olympus E-M5 Digital Camera und ein Zoom HD4 recorder. Aufgenommen habe ich gehend, in der U-Bahn (die Kamera möglichst unauffällig in Brusthöhe gehalten), in Buslinien aus dem Fenster und aus dem Auto (die Kamera lag rechts am Armaturenbrett). Die Aufnahmen von Wien zu Beginn entstanden in meiner unmittelbaren Wohnumgebung. Sie zeigen meine ‘Heimat’, die Wiener Vorstadt, und den Blick von dort ins Stadtzentrum. Das gesamte Material wurde digital bearbeitet, geschnitten, arrangiert. Mit der körnigen schwarzweiß-Struktur im Video ziele ich darauf ab,  Distanz zu schaffen: ich möchte meine künstlerische Arbeit zeitlich und räumlich von mir als Person wegrücken. Die Audio-Aufnahmen wurden mittels des Programms Ableton Live digital prozessiert und re-komponiert; sie werden live weiter geformt und auf 6 Lautsprecher aufgeteilt. Ich komponierte vorne, bühnenseitig, präsentere Klänge; diese mischen sich gut mit dem instrumentalen Ensembleklang. Hinten umgebe ich das Publikum mit ferneren, dunklen Klängen. Die Programmierung und Komposition zielen auf eine komplexe Klangumgebung ab und verstärken ein ungewisses “Gefühl im Rücken”. Die digitalen Medien ermöglichen es mir, die visuelle Komponente (Video und Ensemble) in einen (immersiven) Rundum-Klangraum einzubetten.

 

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Text excerpt (from the score for the performers)

ich
allein
und du

zusammen

er
und sie
zusammen
im Schwarm

zu Boden

fallen
zu Grund

im Schwarm

English version

In this work, I frame the ensemble as a self-organising community. No conductor is necessary, individual timing happens via stopwatch or i-phone (alternatively, a conductor could indicate the necessary timing-signals). At the end of the piece, the performers whisper and murmur words; for some words they have to organise themselves into pairs/groups.

The title is almost impossible to translate into English. The German word RAUSCH can be read as intoxication (as from wine, or dance, whatsoever) as well as noise (like from water or wind, or a radio) – an interesting and poetic juxtaposition of diverse meanings. I refer on cultural-theorist Byung-Chul Han’s writings in my title. Han mentions the terms noise and swarming in the context of the digital world, referring to emotional upheavals in social media. In my media composition, I transform the idea of noisy swarm movements into audible and visible material, and into compositional structures. The concept of the collectively moving swarm also inspired the text and video.

The video shows a personal cartography of Vienna, the city where I live and work. I filmed the video from my perspective as a swarm-being; I wanted to catch my individual movements as a member of the urban swarm. Travelling through the city I become part of a swarm of human beings. I belong to the crowd, merging with the swarm of people. Together we perform the moving swarm. As I travel, I contribute to the overall noise in the city. At times, there are many people around me, at times I move alone. The paths I travel may be more or less crowded, yet I constantly feel the presence of the urban swarm.

Bibliography

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Butler, J. (2016). Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung (Born, F.,Trans.). Berlin: Suhrkamp.

Donna J. Haraway, D. J. (2016). Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene. Durham: Duke University Press.

Han, B.-Ch. (2014). Im Schwarm. Ansichten des Digitalen. (2nd ed.). Berlin: Mathes & Seitz.

Ihde, D. (2007). Listening and Voice. Phenomenologies of Sound. (2nd ed.). Albany: State University of New York Press.

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Westerkamp, H. (2015). The Disruptive Nature of Listening. Keynote Address International Symposium on Electronic Art, Vancouver, B.C. Canada August 18, 2015. Retrieved from https://www.sfu.ca/~westerka/writings%20page/articles%20pages/disruptive.html

Ensemble Schallfeld rehearsing VOM RAUSCH in 2016