EXHIBIT #1 (2009)

EXHIBIT #1 (2009)

Besetzung: Sprechmaschine gekoppelt mit Live-Elektronik, Stimmperformance.

Komponiert im Auftrag von IMA
für die Ausstellung “Zauberhafte Klangmaschinen” in Hainburg 2009
Text: Bernadette Schiefer
Dauer: ca. 12 min.

Sprechmaschine:
Konstruktionsplan Wolfgang von Kempelen, Pressburg 1791
Herstellung: Jakob Scheid, Wien 2001/02
 für das Kempelen-Archiv der Universität für Angewandte Kunst, Wien

Besetzung UA und Aufnahme: 
Gina Mattiello, Stimmperformance,
Elektronik und Maschine: Pia Palme.

Gesendet im Ö1 Zeitton/ Kunstradio am 18. 1. 2009, 23.05 Uhr über Art’s Birthday. CD / Aufnahme: Livemitschnitt der UA durch Kunstradio.

Textfragment
von Bernadette Schiefer (geb. 1979 in Wien, lebt in Graz)

Die Frau geht mit dem Koffer aus dem Haus. Die Frau hat ihre Kindheit mit dem Koffer aus dem Haus gebracht. In ihrem Koffer ist ihre Kindheit, und was aus der Kindheit übrig blieb. Du hast gedacht, ich bin eine Puppe, aber ich war lebendig wie Fisch. Wo ist mein Ich. Ich habe mein Kinder-Ich im Garten begraben und spreche nicht mehr. Niemand schüttelt die Wörter aus meinem Mund. Komm, Baum, bau ein Haus in mein Nest. Komm, Stille, schau mich an. Wir sitzen am Boden und schneiden die zerbrochenen Träume in zwei. Am Klavier spielt Langfinger und rutscht über die Tasten. Im Vorhang hat sich Herr Wolke versteckt. Angst steht auf den Kellerstufen. Ein braves Mädchen schwieg. Ein braves Mädchen spielte mit den übriggebliebenen Illusionen. Jemand dachte, ich wäre eine Puppe, aber ich war so lebendig wie Fisch.


 


Zum Stück:

Die historische Sprechmaschine von Kempelen wurde von Jakob Scheid nachkonstruiert. Die Artikulationsmöglichkeiten des Apparates sind beschränkt – was schon Kempelen selbst wusste, der den Apparat als unvollständigen Versuch bezeichnete. Der Klang ist durchdringend und markant; er erinnert verblüffend stark an die menschliche Stimme. Am besten gelingen weinende, flehende, kindlich klingende Laute.

Damit zu arbeiten war die Herausforderung für das Stück. Mir schien es reizvoll, die Sprechmaschine mit einer tatsächlichen menschlichen Stimme zu kontrastieren. Ein genial passender Textausschnitt von Bernadette Schiefer öffnet einen Themenkomplex, der diesem Kontrast Tiefe und Inhalt verleiht.

Weiters hat mich interessiert, mit der Sprechmaschine “untypische” Klänge zu erzeugen: Atmen, Zischen, Röcheln, perkussive Geräusche oder gesangähnliche Passagen. Ich habe die Klänge beider “Stimmen” teilweise mit elektronischen Mitteln moduliert, verfremdet, geschichtet usw., um den ursprünglichen Stimmklang zu verschleiern und Geräuschfelder zu erzeugen. Ein Ringmodulator liefert synthetische Begleitklänge.

In mehrschichtiger Hinsicht berührt das Stück EXHIBIT #01 die Frage nach der unserer Traumwelt. Die Sprechmaschine an sich ist historischer Ausdruck des alten Traumes der Menschheit, Sprache künstlich herzustellen, zu synthetisieren. Kempelen, Konstrukteur der Barockzeit, hatte den Traum, stummen und sprachbehinderten Menschen helfen zu können, und wurde dadurch zur Forschungsarbeit motiviert, die zu dieser Maschine führte. Der Traum vom künstlichen Menschen schwingt bei der Konstruktion mit: die Maschine ist dem menschlichen Sprechapparat nachgebildet: Lunge, Kehlkopf, Mund, Rachen, Nase, Lippen werden künstlich geformt.

Kempelen war sich dessen bewusst, das dies nur ein Anfang war, der unvollständig blieb. Der Text von Bernadette Schiefer bringt eine weitere Verbindung ins Spiel: die tiefen Schichten in uns selbst, aus denen unsere Träume aufsteigen, bevor sie sich zu Traumwelten manifestieren. Sind Träume rückwärts oder vorwärts gerichtet? Wurzeln Träume in der Vergangenheit, Kindheit, die wir zurücklassen? Oder werden beim Verlassen der Kindheit die Träume zerrissen? Welche Illusionen bleiben uns? Ist Angst eine Traumwelt?

Die Musik und Sprachperformance bilden Schichten wie die Illusionen und Gedankenwelten im Inneren. Menschliche Stimme und Sprache als Brücke zwischen Innen und Aussen. Traumwelten manifestieren sich durch Sprache, Stimme, Musik.

Setup:

Die Sprechmaschine wurde mit einem Kontaktmikrofon (AKG C411) unten am Blasbalg und einem guten Lavalier-Sprechmikrofon (DPA) vorne seitlich des Trichters mikrofoniert (siehe Fotos). Die menschliche Stimme wurde per Mikrofon ebenfalls in die Live-Elektronik eingespeist.
Effektgeräte: Loopstation, Delay-Effektgerät, Lexicon MPX200, Ringmodulator, Kompressoren.