DER KÜHNERE ENTSCHLUSS. (2011)
Entwurf für Stimme, Oboe da Caccia, Elektronik und die Sprechmaschine von Kempelen.
Auftragswerk des Festivals Klangspuren Tirol
Texte aus:
Margret Kreidl, “Meine Stimme”
Hansjörg Zauner, “seiltänzergerümpel”
sowie aus dem “Exerzierreglement für die k.u.k. Fusstruppen 1911”
Dank an die AutorInnen sowie an das Kempelen-Archiv der Universität für angewandte Kunst, Wien. Dank an Jakob Scheid, der die Sprechmaschine 2001 für das Kempelen Archiv spielbar rekonstruiert hat.
Besetzung:
Oboe da Caccia
Stimme
Sprechmaschine mikrofoniert (DPA 4099 vorne am Schalltrichter und ein Kontaktmikrofon C411 unten am Boden des Blasebalgs)
Elektronik (Ableton live, 2 Ringmodulatoren, Effektgeräte, Loops und Delays via Mischpult zuschaltbar)
Dauer: ca. 20 min.
Über das Stück
Das Werk verbindet mikrofonierte Klänge einer rekonstruierten barocken Sprechmaschine, ein barockes Instrument, die Oboe da Caccia, zeitgenössische Stimmperformance und Live-Elektronik.
Die Sprechmaschine ist 1791 von dem österreichisch-ungarischen Adeligen, Erfinder und Allroundkünstler Wolfgang Ritter von Kempelen konstruiert worden. Kempelen hat sich eingehend mit dem menschlichen Sprechapparat beschäftigt und versucht, diesen Apparat mechanisch nachzubauen. Der zeitgenössische Künstler Jakob Scheid hat sie in neuer Form durchaus funktionsfähig rekonstruiert. Sie ist ein kleiner, handlicher Apparat, der sehr stimmähnliche Laute von sich gibt. Von einer genauen Sprachwiedergabe ist sie jedoch weit entfernt, was bereits Kempelen bewusst war.
Der Apparat wird hier zweifach mikrofoniert und live gespielt; ich verarbeite die so gewonnenen Klänge analog und digital weiter. Weitere live-elektronische Bestandteile generiere ich sowohl aus zuvor aufgenommenen und verarbeiteten Samples der Sprechmaschine und der Stimme, sowie mit analogen Ringmodulatoren. Ich sehe das Werk als eine zeitgenössische Kantate, mit der raumgreifenden Elektronik als heutigem Basso Continuo.
Ebenfalls aus dem Spätbarock stammt die Oboe da Caccia, ein Altinstrument der Oboenfamilie. Sie ist gebogen, mit Leder überzogen, hat einen Schalltrichter aus Metall und erinnert an ein Jagdhorn. Genau deshalb wurde sie in der Barockmusik zu Repräsentationszwecken eingesetzt. Bach hat sie mehrfach verwendet, u.a. im Weihnachtsoratorium. Das Instrument hat einen der menschlichen Stimme teilweise sehr ähnlichen Klang; ihre nasale Tonfarbe liegt zudem nahe an der Klangfarbe der Sprechmaschine.
Sehr interessant finde ich den Einsatz eines barocken Instrumentes in der zeitgenössischen Musik; das Spiel mit stimmähnlichen Klangfarben reizt mich ebenso wie meine barocken Komponistenkollegen. Für die Oboe da Caccia habe ich bei diesem Stück eine neue Spieltechnik (“Sweeps”) eingesetzt, die nur auf ganz wenigen und barocken Instrumenten ausführbar ist.
Die Stimme wird in Form von zeitgenössischer Stimmperformance eingesetzt, enthält in verschiedenen Varianten gesprochene, geflüsterte, gesungene oder Vokalisen und perkussive Passagen. Die Texte werden teilweise stark bearbeitet eingesetzt. Sie stellen für mich hinsichtlich des Inhaltes und der sprachlichen Strukturen verschiedene Aspekte menschlicher Ausdrucksform und Kommunikation dar.
Die Sprechmaschine wird zu Beginn als Geräuschgenerator verwendet, später werden “gesungene” und in verschiedenen Klangfarben artikulierte Laute damit erzeugt. Auch mit der Maschine lote ich Grenzen aus und spiele damit in einer Weise, die eigentlich nicht für den Apparat vorgesehen war.
Kritik un Bericht über die UA im Blog von Christoph Reiserer
das war etwas anderes als StillePosted in: Frische Spuren in Schwaz @ Christoph Reiserer 24.09.2011 um 08:21
“Berlin Mitte in den 90ern. Raum wird besetzt, umfunktioniert mit einfachsten Mitteln kreativ verändert, das ist jetzt leider vorbei oder doch nicht ganz: in Innsbruck gibt’s die Kulturbäckerei. Ein ideales Ambiente für die Stücke des gestrigen Abends, die alles andere als akademisch waren.
…Und dann ging’s noch dazu genauso gut weiter… Pia Palme auch mit einer Maschine: die des barocken Tüftlers Ritter von Kempelen, die sie nachbauen hat lassen. Die Maschine kann sprechen, na ja, Laute von sich geben jedenfalls und wird kombiniert mit einer Oboe da caccia und einer Sprech- und Singstimme. Diese konzeptuelle Auswahl ist ideal und in der Komposition, die Klangflächen und Tonräume entwickelt, sehr gut eingesetzt. Das kam gut an und war auch sehr gut.
…Also: die drei Komponistinnen des Abends haben es zusammen mit dem Künstler allen gezeigt. So kann es weitergehen – auch wenn Berlin Mitte längst an den Kommerz verloren ist.
(die Überschrift ist ein wörtliches Zitat aus Pia Palmes Stück)”
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